Die Menschheit (1/2)
Ursprünglich gab es nur eine geistige Schöpfung. Es stellt sich die Frage, wie es zur Schaffung der Materie und des Lebens im Universum kam. Auf diese Frage wird im Folgenden eingegangen.
Der Abfall
Wie bereits in der Einführung und bei der Schöpfung beschrieben, war die durch Christus und zu einer Gemeinschaft mit ihm geschaffene Geisterwelt zu einem wunderbaren lebendigen Organismus vereinigt, "in dem alle Geister die Glieder einer geistigen Gemeinschaft waren, verschieden in ihrer Art und Vollkommenheit."1)
Die Geister dieser Gemeinschaft waren alle dem von Gott selbst eingesetzten Haupte Christus unterstellt, doch unterstanden sie keinem Zwang und hatten ihre volle Freiheit. Christus regierte nicht als Herrscher, sondern er "geleitete in brüderlichem Schutze". Alles, was die Geister taten, geschah aus freier Entscheidung ihres Willens. Und alle waren Christus als ihrem König und Statthalter Gottes und dadurch Gott selbst in Treue zugetan. Diese Gemeinschaft existierte über eine für Menschen unermesslich lange Zeit. Doch der von Gott jedem der Geister als höchstes Geschenk zuteil gewordene freie Wille ermöglichte es auch, sich den Anordnungen ihres von Gott eingesetzten Königs zu widersetzen.
Mit der Zeit gab es Geister, die mit ihrer Situation nicht mehr zufrieden waren. Allen voran war Luzifer als zweithöchster Geist in der Schöpfung nicht länger bereit, unter Christus zu dienen. Er wollte selbst als König herrschen. Er bereitete daher von langer Hand eine Revolution vor. Er wollte Christus seinen Platz nehmen und selbst der König über das Geisterreich sein. Man kann sich die Vorgänge wie bei einer Revolution auf Erden vorstellen. Durch Versprechungen brachte er zunächst andere große und leitende Geister auf seine Seite. Diese halfen ihm beim Überreden weiterer Geister und planten mit ihm als Miträdelsführer die Revolution. Durch das beharrliche Bearbeiten bisher reiner Geister wurden es immer mehr, die bereit waren, an Luzifers Revolution teilzunehmen. Wie auch bei einer Revolution auf Erden gab es zuletzt noch eine große Menge Mitläufer.
Die Frage nach dem Grund des Abfalls wird bei Greber deutlich ausgeführt: "‘Dein Sinn war hochfahrend geworden’ – mit diesen Worten ist die Ursache des Abfalls der Geisterwelt am richtigsten wiedergegeben. Das ‘Ich will nicht dienen, ich will herrschen’ hat den Sturz herbeigeführt." (Greber, a.a.O., S.272) Der Grund war das Streben nach mehr. Wer viel hat, möchte immer noch mehr haben.
Gott und Christus war das Treiben Luzifers bekannt. Doch griff Gott nicht ein, "um die Auflehnung im Keime zu ersticken und mit Gewalt zu verhindern, wie er es gekonnt hätte. Er lässt dem freien Willen der Geschöpfe seinen Weg, wie er ja auch bei euch Menschen nicht eingreift, sobald ihr Frevel plant und eure Vorbereitungen zur Ausführung trefft. Er ließ Luzifer und seine Miträdelsführer ruhig arbeiten und hinderte sie nicht in ihren Bemühungen, sowohl hohe, leitende Geister zu betören, als auch die Massen der Mitläufer durch Versprechungen zu verlocken. Es war die große Probe, auf die Gott die ganze geschaffene Geisterwelt stellen wollte. Mit freiem Willen sollte sie sich entscheiden, ob sie auf der Seite Christi als dem von ihm eingesetzten rechtmäßigen König bleiben oder zu Luzifer übertreten wollte." (Greber, a.a.O., S.269)
Als der Tag der offenen Revolution gekommen war, griff Gott jedoch ein und beendete den Kampf. Der innere und äußere Abfall war vollendete Tatsache. Als Strafe mussten zunächst Luzifer und alle Miträdelsführer den Himmel verlassen. "Sie wurden in die tiefsten Sphären der Schöpfung verwiesen, von deren Finsternis und ihrem Schrecken ihr euch auch nicht ein annäherndes Bild machen könnt." (Greber, a.a.O., S.270) Das spricht Jesus ganz deutlich aus: "Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen." (Lukas 10,18; vgl. auch Offenbarung 12,7–8; 2. Petrus 2,4).
Zunächst wurden also die Führer der Revolution gestürzt. Die Mitläufer hatten allerdings nicht die gleiche Schuld wie die Rädelsführer und da Gott gerecht ist, gab es auch nicht die gleiche Strafe für alle. Diese Mitläufer wurden daher in eine andere Sphäre verwiesen, die schön, aber doch nicht zu vergleichen war mit der Herrlichkeit, welche die Geister vorher im Reiche Gottes hatten. Wenn Menschen diese neue Sphäre sehen könnten, würden sie sie als Paradies bezeichnen. Tatsächlich war diese Sphäre das in der Bibel genannte Paradies. Dieses Paradies war aber nicht materiell, sondern geistig geschaffen.
In diesem Paradies, in dieser Sphäre sollten die gefallenen Geister erneut geprüft werden. "Es war ein Akt der Gerechtigkeit und Güte Gottes, dass er diesen Geistern nochmals Gelegenheit gab, ihren aus Schwäche begangenen Fehltritt durch Bestehen einer Probe wieder gutzumachen." (Greber, a.a.O., S.273) Ihre Gesinnung war nicht böse, sondern sie waren der Versuchung Luzifers erlegen. Sie standen halb auf seiten Christi und halb auf seiten Luzifers. Sie hinkten sozusagen nach zwei Seiten. Diese neue Sphäre war neutral. Hier sollten sie auf die Probe gestellt werden, sie sollten sich entscheiden.
In dieser neuen Sphäre war den Geistern jedoch die Erinnerung an ihr früheres Dasein genommen. Dies ist analog zu uns Menschen zu sehen. Auch wir haben meist keine konkrete Erinnerung an unser früheres Dasein. Hätten die Geister noch diese Erinnerung gehabt, so wäre die Entscheidung aufgrund der Erinnerung an die Herrlichkeit in den Himmeln leicht gefallen. Die Prüfung bestand nun darin, dass Gott ihnen etwas verbot, was sie nicht begreifen konnten. Ähnlich wie hier auf Erden bemühten sich nun die gottestreuen Scharen des Himmels sowie die finsteren Mächte des Bösen um diese Geister.
Das gestellte Verbot wurde jedoch von den Geistern im Paradies übertreten. Sie hatten die Probe nicht bestanden und fielen damit endgültig ab. Sie alle wurden als Folge Eigentum des Bösen und standen mit Luzifer auf fast gleicher Stufe. "Luzifer war nunmehr auch der Fürst dieser Geister. In seinem Reich war er selbständiger Herrscher. Zwar unterstand auch er der Macht Gottes und konnte insofern nicht tun, was er wollte, aber die Ausübung seiner Herrscherrechte über diejenigen, die freiwillig seine Untertanen geworden waren, schmälerte ihm Gott nicht. Es war eine furchtbare Folge der Gerechtigkeit Gottes, dass Luzifer diejenigen als sein Eigentum behalten durfte, die zu ihm übergetreten waren. Für sie also gab es kein Entrinnen mehr. Selbst wenn ihnen nachträglich ihr Abfall zum Bösen leid tat, so konnten sie nicht mehr zurück." (Greber, a.a.O., S.275)
Diese Kluft zwischen den beiden Reichen kann man auch auf Erden finden: Wenn zwei Staaten sich im Krieg befinden, so wird selbstverständlich nicht erlaubt, zum Feind überzulaufen. Auch wird jeder in der Fremdenlegion festgehalten, der dort freiwillig eingetreten ist. Und wenn er desertiert, wird er wieder zurückgeholt und hat nachher ein noch schlimmeres Leben als zuvor. "Es führt keine Brücke hinüber zu dem Vaterland und der Heimat, die er durch seine Schuld verlassen hat." (Greber, a.a.O., S.276) Von dieser Kluft ist auch bei Lukas 16,26 in der Erzählung vom armen Lazarus die Rede.
Im Gegensatz zu den obigen irdischen Beispielen liebt Gott jedoch alle seine Kinder, auch die vom Vaterhaus getrennten. Aufgrund dieser Liebe möchte er alle abgefallenen Geister wieder mit dem geistigen Reich seines Sohnes vereinen (vgl. Römer 11,23). Diese Rückführung ist allerdings nur durch den eigenen Willen der abgefallenen Geister möglich. Dieser Wille ist sogar ganz entscheidend: Die "Mitläufer" waren zwar in ihrer Gesinnung nicht so tief wie ihre Beherrscher, aber sie sahen keine Hoffnung auf Rettung aus der Tiefe. "Und wo die Hoffnung auf Rettung fehlt, da fehlt auch jeder Wille, sie herbeizuführen. Und wo dieser Wille fehlt, da wird auch nichts unternommen, was den Weg zur Rettung anbahnen könnte." (Greber, a.a.O., S.277)
"Aber auch selbst wenn sie den Willen zur Rückkehr gehabt hätten, so lag ein unübersteigbares Hindernis in dem Herrscherrecht Luzifers über diese Geister, das auch Gott ihm nicht schmälern durfte, weil er es ihm eingeräumt hatte." (Greber, a.a.O., S.277) Aus diesem Grunde wurde ein Plan entworfen, wie diese Schranke überwunden werden konnte, wie eine Brücke gebaut werden konnte zwischen diesen beiden Reichen. Dieser Plan ist der Schöpfungs–, Heils– und Erlösungsplan Gottes und Christi.
1) Johannes Greber – Der Verkehr mit der Geisterwelt Gottes, seine Gesetze und sein Zweck. Selbsterlebnisse eines katholischen Geistlichen, 8. Auflage 1985, Johannes Greber Memorial Foundation, New York, S.266